Ich werde den höchsten Respekt vor menschlichem Leben wahren. Ich werde nicht zulassen, dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politischer Zugehörigkeit, Rasse, sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder jeglicher anderer Faktoren zwischen meine Pflichten und meine Patientin oder meinen Patienten treten.
So lautet ein Auszug aus dem ärztlichen Gelöbnis der Genfer Deklaration. Damit schwören Ärzt*innen, alle Menschen, die medizinische Versorgung benötigen, gleich zu behandeln.
Doch die Realität sieht anders aus. Menschen nicht-weißer Hautfarbe berichten von abfälligen Bemerkungen in der Sprechstunde, von schlechter Versorgung im Krankenhaus, von Anfeindungen. Das Vorurteil, Schwarze Menschen hätten ein geringeres Schmerzempfinden, hält sich in Arztpraxen und Krankenhäusern mitunter hartnäckig. Auch längere Wartezeiten, Mikroagressionen und Unverständnis sind für nicht-weiße Menschen an der Tagesordnung, zeigte eine wissenschaftliche Arbeit von Khamai Simpson an der Berlin School of Public Health der Charité aus dem Jahr 2022, die Erfahrungsberichte von Betroffenen beinhaltet. Kurzum: Rassismus im Gesundheitswesen ist in Deutschland ein ernstzunehmendes Problem.
Noch konkreter sind die verheerenden Ergebnisse einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2022, die auf Daten des Centers for Disease Control and Prevention basiert. Diese ergab, dass POCs während der Pandemie häufiger an COVID-assozierten Krankheiten gestorben sind als weiße Menschen. Hierzulande fehlen konkrete Studien dieser Art bislang.
Die entscheidende Frage in allen Fällen lautet: Wie kann man strukturellem Rassismus im Gesundheitswesen entgegenwirken und mehr Empathie fördern?
In einigen wenigen Krankenhäusern wie der Charité gibt es mittlerweile Programme für Ärzt*innen und Pflegepersonal, um das Bewusstsein für verschiedene Patient*innegruppen zu schärfen und mögliche Vorurteile abzubauen. Doch diese Art der Aufklärung sollte nicht erst in der Berufspraxis stattfinden. Die medizinische Ausbildung legt den Grundstein für die künftige Arbeit und den Umgang mit Patient*innen. Deshalb sollte bereits hier der Umgang mit spezifischen Bedürfnissen der Patient*innen eine elementare Rolle spielen, um Vorurteilen und Rassismus entgegenzuwirken.
Doch bisher spiegeln Lehrpläne nach wie vorgesellschaftliche Stereotype wider und verstärken sie – etwa durch die Unterrepräsentation bestimmter Erkrankungen in Minderheitengruppen in den Lehrmaterialien oder durch die mangelnde Diversität in Fallstudien. Eine ausbleibende kulturelle und zwischenmenschliche Kompetenz in der Ausbildung verschärft dieses Problem weiter und erschwert es, die Bedürfnisse verschiedener Patien*innengruppen vollständig zu verstehen und auf sie einzugehen.
Um die Problematik der mangelnden Empathie anzugehen, muss das Bewusstsein für Vorurteile und emotionales Verständnis in die medizinische Ausbildung integriert werden. Immer öfter fordern junge Auszubildende experimentelle Lernmöglichkeiten ein, welche die Selbstwahrnehmung fördern und sie mit unterschiedlichen Patient*innengruppen in Kontakt bringen. Die Studierenden setzen sich für eine kritische Lehre, für Belange der LGBTQIA+-Community oder kulturelle Minderheiten ein und treten mit ihren Anliegen selbstbewusst an die Öffentlichkeit.
Wie so etwas in der Realität funktionieren kann, zeigt der Dokumentarfilm Who Cares, der junge Medizinstudierende in Frankreich in ihrem Ausbildungsalltag begleitet. Mithilfe von Schauspieler*innen, die als Patient*innen agieren, werden alltägliche Situationen wie ein Anamnesegespräch oder die Überbringung einer schlechten Diagnose rekonstruiert und anschließend ausgewertet.
Kann Empathie gelernt werden? Diese Frage steht dabei im Mittelpunkt. Immerhin scheinen Rollenspiele ein wirksames Mittel zu sein, um empfänglicher für sein Gegenüber zu werden. Mal merkt der eine, dass er zu vorsichtig war und keine Kompetenz ausgestrahlt hat. Mal ist einanderer zu kühl und verschreckt die simulierende Person, Nachfragen zu stellen. Der richtige Umgang mit Patient*innen ist ein Drahtseilakt, nicht zuletzt weil Medizinstudierende sowie Ärzt*innen unter Hochdruck in einem intensiven Umfeld arbeiten. Die massive Überbelastung, Stress und eine enge Taktung führen dazu, dass ein entscheidender Faktor für Empathie verloren geht: Zeit.