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Im Gespräch mit Katrin Rönicke über den Kampf für Frauenrechte, die Komplexität der Abtreibungsgesetze und die Einflussnahme digitaler Medien auf gesellschaftliche Diskurse.
Katrin Rönicke ist Autorin, Journalistin, Podcasterin und setzt sich intensiv mit Feminismus, Gleichstellungspolitik und gesellschaftlichen Debatten auseinander. Der von ihr und Susanne Klingner 2013 gegründete Lila Podcast gilt als einer der wichtigsten feministischen Podcasts in Deutschland. Im Rahmen des diesjährigen Dokumentale Programms wird Rönicke gemeinsam mit weiteren Expert*innen einen Live Podcast zum Thema Abtreibung hosten. Inspiriert von dem Film Abortion Dream Team, dessen Deutschland Premiere wir auf der Dokumentale feiern, spricht sie über den weiterhin bestehenden Kampf für die Legalisierung von Abtreibung in Deutschland, globale Spannungen und Entwicklungen und das Recht auf Selbstbestimmung.
Wir durften im Rahmen unseres Dokumentale Magazins mit Katrin Rönicke über Frauenrechte, die Abtreibungsgesetzgebung und die Rolle der Medien in diesen Debatten sprechen.
Katrin Rönicke: Ich bin mit 18 Jahren Mitglied der Grünen Jugend geworden. Durch die Frauenquote, die auch in der Jugendorganisation von Bündnis 90 / Die Grünen gilt, war ich relativ schnell zuerst Beisitzende des Landesvorstands in Baden-Württemberg, danach auch im Bundesvorstand. Wie bei jeder Jugendorganisation ist die Fluktuation recht hoch, ständig kommen neue Leute dazu. Deswegen gab es alle paar Jahre Debatten darüber, die Frauenquote abzuschaffen und als Vorstandsmitglied in Land und Bund war es meine Aufgabe, dazu eine Haltung zu entwickeln. So kam es, dass ich mich recht intensiv mit Geschlechterrollen befasst habe, was zugegebenermaßen davor ein Thema war, das ich als Landei einfach gar nicht auf dem Schirm hatte.
Das war zunächst keine bewusste Entscheidung, sondern es war der Weg, der mir offen stand. Meine allerersten Gehversuche als Autorin und Publizistin machte ich in der Community von neon.de (die es heute so nicht mehr gibt). Man konnte einfach drauflos schreiben und wenn ein Text der Redaktion gefiel, landete er auch mal auf der Startseite. Von dort ging es weiter zum feministischen Blog „Mädchenmannschaft", wo ich ab 2008 zusammen mit den Journalistinnen Meredith Haaf, Susanne Klingner (mit der ich bis heute arbeite) und Barbara Streidl bloggte. 2009 wurden wir mit dem Best of Blogs Award der Deutschen Welle ausgezeichnet und erst ab da begann ich, auch für etablierte Medien zu schreiben, etwa den Freitag oder die FAZ. Davor war Feminismus kein Thema in den klassischen Medien - wir mussten uns unsere Nische selbst schaffen. Weil das so gut funktioniert hat, während die meistens männlichen Gate Keeper in den etablierten Redaktionen uns eher keine Chance gegeben hätten und wenn doch, dann wollten sie uns immer schleifen, damit wir so werden, wie sie es finden, machen wir seitdem am liebsten unser Ding: So wie WIR es richtig finden.
Sie ist ein Kompromiss, der nur zustande kam, weil sich die verschiedenen Lager aufgrund verschiedener Ideologien nicht einigen konnten - und das merkt man! Der Kompromiss ist 30 Jahre alt und seitdem herrscht politisch kompletter Stillstand, was die Sache angeht (außer, dass immerhin der Paragraph 219a inzwischen abgeschafft wurde, dank des Engagements von Kristina Hänel).
Was der sogenannte Kompromiss für Schwangere bedeutet ist: Schwangerschaftsabbruch ist grundsätzlich strafbar! Und darum gibt es eine Menge Hürden, ein regelrechter Spießrutenlauf, wenn sie dennoch einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen wollen. Da ist zum einen ein enormer Zeitdruck, denn alles muss bis zur 12. Woche über die Bühne gegangen sein. Aber es gibt eben auch die Pflicht, sich nach der Feststellung der Schwangerschaft beraten zu lassen. Was viele nicht wissen: Da sind auch diverse Anbieter unterwegs, die zwar beraten, die aber den Schein gar nicht ausstellen, den Schwangere für einen straffreien Abbruch benötigen. Hinzu kommt, dass es nicht überall leicht ist, zeitnah einen Termin für den Abbruch zu ergattern und gleichzeitig wissen zu wenig Ärzte über den medikamentösen Abbruch bescheid. Kurz: Die rechtliche Lage erzeugt wahnsinnig viel Druck und das in einer Situation, die schon stressig genug ist. Es ist in meinen Augen eine Schikane, eine Bevormundung von Menschen, die schwanger sind und es widerspricht auch internationalen Verträgen wie der Frauenrechtskonvention CEDAW, sowie Empfehlungen der WHO, die beide klarstellen, dass Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden müssen.
Ich vermute, dass einerseits die Religion eine große Rolle spielt. Für manche Christ*innen ist ein Schwangerschaftsabbruch dasselbe wie ein Mord - völlig ungeachtet der tatsächlichen Entwicklung des Fötus und der Frage, ob dieser außerhalb des Körpers der schwangeren Person lebensfähig wäre.
Dann ist die Frage ein Indiz für den Fortschritt der Geschlechtergerechtigkeit in einer Gesellschaft, oder anders gesagt: Je patriarchaler die Gesellschaft und je frauenfeindlicher generell, desto strenger wird ihre Abtreibungsgesetzgebung ausfallen. In den USA können wir das aktuell gut beobachten: Das Land hat einen krassen Ruck nach rechts gemacht, ist autokratisch, aber eben grundsätzlich frauenfeindlicher und antifeministischer geworden. Und das, was zuerst gefallen ist, war Roe vs. Wade, eine von 1973 stammende Grundsatzentscheidung, die sagte: Es ist ganz klar das verfassungsmäßige Recht der schwangeren Person, über Abbruch oder Fortführung ihrer Schwangerschaft selbst zu entscheiden. Das war ein Meilenstein! Und der wurde als erstes rückabgewickelt, noch bevor Donald Trumps zweite Amtszeit begann.
Außerdem verknüpfen rechte Parteien, wie auch die AfD, ihre völkisch-nationale und rassistische Ideologie gerne damit, Frauen vorzuschreiben, wie viele Kinder sie zu bekommen haben. Die Idee ist, dass eine Gesellschaft weniger Migration bräuchte, wenn weiße „biodeutsche" Frauen mehr Kinder gebären würden - dem steht ein liberaler Schwangerschaftsabbruch natürlich auch im Weg! Das ist eine zutiefst frauenfeindliche und rassistische Ideologie, die aber leider immer mehr auf dem Vormarsch ist.
Der Feminismus selbst ist intersektionaler geworden, das heißt, dass er von der Fokussierung allein auf das Geschlecht, hin zu einem Ansatz gekommen ist, der auch andere Diskriminierungsformen mitdenkt. Etwa Klassismus, Ableismus, Rassismus oder Queerfeindlichkeit. Dabei gab es auch diverse Spaltungen innerhalb der Bewegung, besonders stark in der Frage, ob Menschen die trans sind, auch Teil der feministischen Bewegung sein sollen oder nicht. Das bekannteste Beispiel ist vermutlich die Autorin J. K. Rowling, die durch ihre transfeindlichen Kommentare eine Menge Harry-Potter-Fans sehr enttäuscht hat. Aber auch hierzulande, etwa in der Person Alice Schwarzer, ist der transfeindliche Feminismus recht laut. Bevor im letzten Jahr das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet wurde, sind diese Leute Sturm gelaufen und haben sich insbesondere digital stark vernetzt. Twitter und Facebook-Gruppen spielen dabei eine große Rolle.
Als wir 2008 erst feministisch gebloggt und dann 2013 gepodcastet haben, haben wir immer gesagt: Das Internet ist unser großes Glück! Dank des Internets können sich Feministinnen auf der ganzen Welt vernetzen und verbünden - man denke nur an den Hashtag #Aufschrei oder an #MeToo! Aber inzwischen erleben wir, dass der Backlash genauso digital vernetzt ist. Twitter gehört nun einem Transfeind (Elon Musk) und Hass und Hetze sind dort jetzt wesentlich dominanter, als die Vernetzung von progressiven und feministischen Gruppen.
Während ich lange Zeit das Gefühl hatte, dass es zwar dicke Bretter sind, die wir in Sachen Geschlechtergerechtigkeit zu bohren haben, aber dass es trotz allem voran ging, sehe ich heute mit Sorgen, dass wir am Anfang eines massiven Backlashs stehen. Und ich hoffe sehr, dass wir es schaffen, standhaft zu bleiben und unsere bereits erkämpften Rechte zu verteidigen - dabei kann digitale Vernetzung weiterhin helfen. Im Zweifel müssen wir aber endlich wieder analoger aktiv werden: Auf die Straße gehen, Abgeordnete nerven, Schutzräume organisieren.
Ich wünsche mir, dass wir Bündnisse schmieden, solidarischer miteinander werden, von den Verbündeten keine Perfektion erwarten, fehlertoleranter und kritikfähiger werden und vor allem: Dass wir durchhalten. Dass wir uns nicht einschüchtern lassen, dass wir laut bleiben und nicht dabei stehen bleiben, das bisher erkämpfte zu verteidigen, sondern weiterhin darauf beharren, dass es noch einen weiten Weg zu gehen gibt. Wenn die Gleichberechtigung in dem Tempo wie bisher umgesetzt wird, brauchen wir noch über 100 Jahre, bis alle Geschlechter in Deutschland gleichberechtigt sind und weltweit: Fast 300 Jahre! Das gerät schnell aus dem Blick, wenn man denkt, man müsste alles, was man bisher erreicht hat, gegen den Faschismus verteidigen - oder es ist verlockend, zu denken, dass man nicht gleichzeitig NOCH mehr fordern könnte. Doch! Das können wir und das sollten wir auch, denn es ist eine von vielen Gerechtigkeitsfragen, die schlicht und ergreifend noch nicht geklärt ist. Also wünsche ich uns vor allem Hartnäckigkeit und dass wir uns nicht einschüchtern lassen. intimidated.