© Filmstill "Searching for Amani"
Die Gewinnerinnen des Dokumentale-Dokumentarfilmpreises 2024, Nicole Gormley und Debra Aroko, über Sensibilität bei den Dreharbeiten mit einer trauernden Familie, die Herausforderungen bei der Entstehung ihrer Dokumentation "Searching for Amani" und warum wir uns verlieben müssen, um uns wirklich um die Welt zu sorgen.
Debra Aroko: Ich wurde auf Empfehlung unseres kenianischen Produzenten als Übersetzerin und Transkriptorin engagiert. Das bedeutet, dass ich alle Interviews angeschaut habe. Ich glaube, es hat ungefähr ein Jahr gedauert, bis ich alles durchgearbeitet hatte. Am Ende kannte ich den gesamten Film auswendig, obwohl ich nicht bei den Dreharbeiten dabei war. Als Nicole und das Team mit dem Schnitt begannen, waren sie sehr offen für die Meinungen der anderen Teammitglieder und damit auch für meine Anmerkungen. Meine Aufgabe als Übersetzerin war es, den Kontext dessen, was die Jungen sagten, wirklich herauszuarbeiten und ihr tägliches Leben darzustellen, denn das ist meine Realität und meine Kultur.
Dass ich diese Details und Nuancen herausarbeiten konnte, hat es uns ermöglicht, die Geschichte so zu erzählen, wie sie heute existiert. Aus dieser Zusammenarbeit entwickelte sich dann auch die Co-Regie, weil ich ja immer schon Filmemacherin war, das Übersetzen war eher ein Nebenjob für mich. Ich würde sagen, die Entwicklung dieser Beziehung verlief ganz organisch.
Nicole Gormley: Es war schwierig. Einer der Produzenten hatte Simon etwa drei Monate nach dem Tod seines Vaters kennengelernt und ihm eine Kamera gegeben. Zu diesem Zeitpunkt sprach Simon nicht viel – weder mit seiner Familie noch mit anderen Menschen in seinem Umfeld. Doch seine Mutter erwähnte oft, dass er die Kamera nutzte, um mit seiner Community zu sprechen, nicht nur über seinen Vater, sondern auch über Themen wie Covid. Von Anfang an war es eine ziemlich heilsame Erfahrung für ihn, seine Trauer durch die Kamera auszudrücken. Sie gab ihm einen Vorwand, Fragen an die Menschen in seinem Umfeld zu stellen.
Es war uns sehr wichtig, sicherzustellen, dass es Schutzmaßnahmen für sein psychisches Wohlbefinden gab, damit er diese traumatische Erfahrung nicht immer wieder neu durchleben musste. Deshalb hatten wir eine Fachkraft, die Simons mentale Gesundheit unabhängig von der Filmproduktion beurteilte, denn das war ehrlich gesagt von Anfang an eine unserer größten Sorgen. Es stellte sich heraus, dass Simon im Vergleich zu seiner Familie und anderen relativ gut mit seiner Trauer umging, da er dieses Ventil hatte, um darüber zu sprechen.
Die kurze Antwort auf deine Frage ist also: Wir sind sehr behutsam vorgegangen und haben viele Menschen um Rat gefragt. Simons körperliches und mentales Wohlbefinden hatte für uns immer höchste Priorität. Dieser Film hätte ein ganz anderer Film werden können – ein Film über den Konflikt. Doch dieser Film handelt von Simon, seinem Leben und seiner Trauer.
Debra Aroko: Für Simon und seine Familie war es eine Reise, ein Prozess, den sie gemeinsam durchlebt haben. Es war für sie aber auch eine Möglichkeit, selbst Kontrolle über ihre Geschichte zu ergreifen. Die Zusammenarbeit ging über das Filmteam hinaus – es war eine echte Partnerschaft mit der Familie, um sicherzustellen, dass sich alle unterstützt fühlten. Für uns Filmemacher*innen war es genauso ein Entdeckungsprozess wie für Simons Familie.
Nicole Gormley: Simon hat schon mit sechs Jahren zu Nachrichtensprecher*innen aufgeschaut. Er hat immer davon geträumt, im Journalismus zu arbeiten. Er fühlte sich sofort zur Kamera hingezogen. Ich glaube, dieser Teil seiner Persönlichkeit war essenziell dafür, dass wir diese Geschichte so erzählen konnten.
Oft gibt es Schlagzeilen, die ein Ereignis distanziert und sachlich beschreiben. Doch in Simons Fall haben wir erlebt, wie tief bewegend und persönlich diese Geschichten tatsächlich sind. Die Diskrepanz zwischen der journalistischen Berichterstattung und der Realität, die wir mit der Familie erlebt haben, war enorm. Ich glaube, der Film wäre nicht derselbe gewesen, wenn Simon nicht diesen journalistischen Drang gehabt hätte. Seine Neugier, die Welt um sich herum durch den Journalismus zu erkunden, ist eine tragende Säule des Films.
Debra Aroko: Da stimme ich vollkommen zu. Eigeninitiative zu ergreifen ist nichts, wozu afrikanische Kinder ermutigt werden. Wir wachsen oft mit der Erwartung auf, einfach den Regeln zu folgen und keine Fragen zu stellen. Simon hat mich sehr inspiriert. Ein großer Teil dessen, was diesen Film ausmacht, ist Simons Stärke, seine Hartnäckigkeit, seine Neugier und sein Wille, trotz seines jungen Alters und schwieriger Umstände herauszufinden, was mit seinem Vater passiert ist. Ich wusste einfach, dass diese Geschichte erzählt werden muss und dass sie das Leben von Jugendlichen in seinem Alter verändern könnte. Sie können sich auf der Leinwand repräsentiert sehen und erleben, wie Simon selbst aktiv wird, unterstützt von den Erwachsenen um ihn herum.
Nicole Gormley: Ich denke, die größte Herausforderung und gleichzeitig die größte Stärke des Films ist, dass er aus der Perspektive von Simon erzählt wird, den wir im Alter von 13 bis 17 Jahren begleiten. Das war ziemlich herausfordernd, weil die Welt, in der er aufwuchs, und die Ereignisse, die seine Familie beeinflussten, sehr komplex und vielschichtig waren.
Lange Zeit haben wir versucht herauszufinden, ob wir Simons persönliche Geschichte erzählen oder die Geschichte der Probleme, die seine Gemeinschaft umgeben. Diese Spannung zwischen den beiden Aspekten war eine große Herausforderung, denn sie sind eng miteinander verknüpft. Doch die Tatsache, dass wir alles aus der Perspektive eines Jungen verdichten mussten, war letzendlich eine wertvolle Einschränkung für uns. Dadurch wurde der erzählerische Rahmen klarer.
Es gibt so viel Nuancen und historische Zusammenhänge, die zwangsläufig ausgeklammert werden mussten, insbesondere die kolonialen Spannungen zwischen der Conservancy und den indigenen Gemeinschaften, die sie umgeben. Eine der größten Herausforderungen beim Schnitt war es, zu entscheiden, welche Art von Film wir machen wollten und wie viel Hintergrundwissen und Kontext nötig war, gerade für Zuschauer*innen aus Deutschland, den USA oder Kenia, die möglicherweise wenig über diese Zusammenhänge wissen.
Anfangs versuchten wir, zwei verschiedene Filme in einem zu erzählen. Doch als wir uns schließlich darauf festlegten, dass es Simons Geschichte sein sollte, half das enorm bei Entscheidungen. Es nahm uns den Druck, alles erklären zu müssen. Das ist essenziell, wenn man eine intime Geschichte erzählen will. Menschen lernen oder fühlen nicht durch eine Flut von Fakten. Sie verbinden sich mit einer Geschichte, weil sie sich in jemanden verlieben. In diesem Fall ermöglicht es Simon als Protagonist, eine Verbindung zu Menschen auf der ganzen Welt herzustellen.
Debra Aroko: Wir haben noch nicht viel über die Kampagne veröffentlicht, weil wir gerade in der Entwicklung sind. Aber ich kann mit Stolz sagen, dass Impact von Anfang an ein Herzstück des Films war. Unser Job als Filmemacher*innen ist es, Geschichten an die Öffentlichkeit zu bringen und Plattformen für Diskussionen und Lösungen zu schaffen.
Wir werden mit Partnern in Kenia und weltweit zusammenarbeiten, um möglichst viel Bewusstsein für Themen wie Klimawandel, Klimakonflikte und Naturschutz zu schaffen. Unser Ziel ist nicht, zu spalten, sondern Gespräche zu ermöglichen, die zu Lösungen führen.
Simon wird auf Festivals auftreten und mit dem Publikum sprechen. Außerdem haben wir ein Lernprogramm mit Bildungsinhalten entwickelt, das sich an junge Menschen richtet.
Nicole Gormley: Debra hat die Leitung unserer Impact-Kampagne übernommen, und es war unglaublich viel Arbeit. Deshalb schätzen wir die Auszeichnung von der Dokumentale sehr – sie hilft uns enorm, den ersten Schritt unserer Kampagne zu finanzieren.
Nicole Gormley: Ja, wir sind in engem Kontakt mit Simon und seinem besten Freund Haran. Haran hat die Schule abgeschlossen und arbeitet jetzt mit Paula Kahumbu bei Wildlife Direct, wo er Kinder über Naturschutz aufklärt. Simon hat viele großartige Möglichkeiten erhalten, um die Welt zu bereisen. Aktuell liegt sein Fokus darauf, sein letztes Schuljahr abzuschließen, weil er an einer Universität im Ausland studieren möchte.
Debra Aroko: Ich bin unglaublich stolz auf das, was sie erreicht haben. Es ist wunderschön zu sehen, dass wir einen kleinen Beitrag dazu leisten konnten, ihre Träume wahr werden zu lassen.