Um Fake von Fakten zu unterscheiden, Tatsachen einzuordnen und auch die Hintergründe von Desinformationen aufzudecken, braucht es professionellen Journalismus. Deshalb müssen wir Pressefreiheit und unabhängige Medien verteidigen.
Jana Sepehr hat mit Reporter ohne Grenzen über das sich verändernde Umfeld für Journalist*innen in den letzten Jahren, die Repressionen, denen Medienschaffende weltweit ausgesetzt sind, und Möglichkeiten zur Verteidigung der Pressefreiheit gesprochen.
Haben sich die Risiken für Journalist*innen, die über Wahlen berichten, in den letzten Jahren verschärft?
Reporter ohne Grenzen: Im Zuge der Ausbreitung autokratischer Regierungsformen und einer zunehmenden Polarisierung geraten Medienschaffende rund um Wahlen immer öfter in Gefahr. Sie werden beschimpft, geschlagen und festgenommen. Autoritäre Staatsoberhäupter und einflussreiche Interessengruppen wollen Journalist*innen mit allen Mitteln an einer unabhängigen Berichterstattung hindern. So wurden allein in den ersten Wochen dieses Jahres mindestens 18 Journalist*innen in Bangladesch angegriffen, während sie über Unregelmäßigkeiten und Gewalt während der Parlamentswahlen berichteten. In Pakistan entfesselten die Behörden eine Welle der Gewalt gegen Berichterstatter*innen, welche die Abstimmung zum Parlament journalistisch begleiteten. In der Türkei wurden Journalist*innen während der Kommunalwahlen beschossen. Aber auch in etablierten Demokratien beobachten wir vermehrte Angriffe auf die Medien. Der Wiederantritt Donald Trumps als Präsidentschaftskandidat in den USA erinnert an den Sturm auf das Kapitol im Januar 2021, als seine Anhänger*innen sich auf Journalist*innen stürzten, Kameras zerstörten und die Parole „Murder the media“ in eine Tür kratzten.
Welche Rolle spielen soziale Medien in Bezug auf Pressefreiheit und Wahlberichterstattung?
Das gezielte Verbreiten von Desinformation soll den Prozess der demokratischen Willensbildung verzerren. Das macht sich besonders in Wahlkampfzeiten bemerkbar: Populisten und Autokraten überfluten die Öffentlichkeit mit Fake News, um Abstimmungen in ihrem Sinne zu beeinflussen, Diskussionen emotional anzuheizen und vermeintliche Gegner*innen zu dämonisieren. Falschnachrichten sind deshalb eines der größten Risiken für Demokratien. Insbesondere in den sozialen Medien, wo wir mittlerweile mit Deep Fakes und KI-generierten Bildern und Audios konfrontiert werden, gilt es besonders aufmerksam zu unterscheiden, Fake von Fakten zu unterscheiden, Tatsachen einzuordnen und auch die Hintergründe von Desinformation aufzudecken. Aber dazu braucht es professionellen Journalismus und Pressefreiheit.
Was sind langfristige Auswirkungen auf Demokratien, wenn die Pressefreiheit weiter unter Druck gerät?
Pressefreiheit ist ein wichtiger Gradmesser für den Zustand der Demokratie: Wird sie eingeschränkt, geht es auch mit der Demokratie bergab. Wo Medien nicht mehr ungehindert über Unrecht, Machtmissbrauch oder Korruption berichten können, findet auch keine öffentliche Kontrolle statt. Zudem ist Pressefreiheit eine Grundvoraussetzung für die demokratische Teilhabe: Wähler*innen brauchen Zugang zu unabhängigen Medien, die sie mit verlässlichen Informationen versorgen und ihnen so ermöglichen, sich eine politische Meinung zu bilden, um eine fundierte, sinnvolle Wahl zu treffen. Werden Medien eingeschränkt, können sie dieser Funktion nicht mehr nachkommen. In der Folge wächst der Einfluss von Propaganda und Populismus auf Wahlentscheidungen. Medienschaffende sollten daher besser vor allen Formen von Gewalt geschützt und Angriffe auf Journalist*innen umgehend juristisch belangt werden.
Interview: Jana Sepehr