Faravaz Farvardin ist eine iranische Sängerin, Aktivistin und Feministin, die in Berlin wohnt. In ihrem Heimatland Iran durfte sie aufgrund sexistischer Gesetze nur im Hintergrund singen. Doch 2016 sang sie in dem Lied „Dance with Me“ ein Solo und wurde deshalb zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Aufgrund der gefährlichen und gewaltvollen Bedingungen in iranischen Gefängnissen, musste sie ihre Heimat verlassen. Seit sechs Jahren lebt sie im Exil und nutzt ihre Musik weiterhin als Werkzeug, um Feminismus und Empowernment zu verbeiten. Bei der Summer Preview lief der Kurzfilm "My Orange Garden" mit ihr. Der Film zeigt ihre besondere Beziehung zu ihrem Körper.
Als professionelle Sängerin; wie ist das Singen mit deiner eigenen persönlichen Geschichte verbunden?
Als ich noch im Iran gelebt habe, habe ich immer gesagt: „Ich singe, um am Leben zu bleiben.“ Denn das war das einzige, was mich mit dem Leben verbunden hat. Mit all der Zensur und den harten Momenten, mit denen ich im Iran, besonders als Frau umgehen musste, war Singen die Freude meines Lebens und die Sprache meiner Liebe. Ich könnte das Singen nie vergessen - das ist, warum ich noch Singe, obwohl ich im Exil lebe.
Der Kurzfilm “My Orange Garden” beschäftigt sich viel mit weiblichen Körpern. Was macht weibliche Körper so politisch?
Nachdem ich den Iran verlassen musste und begann, im Exil zu leben, realisierte ich, dass alles, was mir passierte und immer noch passiert, geschieht, weil ich in einem weiblichen Körper geboren wurde. Und das ist nicht nur bei mir so - auch die Frauen in meinem Land sind davon betroffen. Wir werden unterdrückt und depressiv, weil wir in weiblichen Körpern leben. Wir können unser Leben nicht genießen. Und das, einfach nur, weil wir andere Körper haben. Ich denke, das ist ein wirklich wichtiges Thema. Das ist auch der Grund, warum man so viel Haut, weibliche Haut, in meinem Film sieht.
Es geht nicht nur um Körper, sondern auch um Stimmen. Mein Singen wurde verboten, weil es von einer weiblichen Stimme aus einem weiblichen Körper kommt.
Gab es einen bestimmten Moment, in dem du realisiert hast, dass dein Körper und deine Stimme so politisch sind?
Nachdem ich den Iran verlassen habe, habe ich bemerkt, dass ich mich sehr für meinen Körper geschämt habe. Ich habe realisiert, dass es mein Körper ist, der das islamische Regime und die Mullahs so wütend macht. Das ist es, warum sie diesen ganzen Druck auf meinen Körper ausüben.
Aber ich habe begonnen, meinen Körper und meine Stimme als Waffen zu benutzen. Denn wir müssen frei sein. Und was wir tun können, um diesen Kampf zu gewinnen, ist, ihnen Angst zu machen, indem wir unsere Körper lieben und akzeptieren. Wir müssen unsere Körper zeigen, so viel wir können.
Hat sich deine Körperwahrnehmung verändert, seitdem du angefangen hast, deinen Körper als deine Waffe zu verstehen?
Mein Körper ist mein Zuhause. Denn das ist der einzige Ort, an dem ich mich zuhause fühle. Seitdem ich diese Erkenntnis hatte, liebe ich meinen Körper mehr als jemals zuvor. Aber ich bekomme auch sehr viel mehr Hassnachrichten als davor, weil ich zeige, dass ich mich nicht für meinen Körper schäme. Es macht Menschen, besonders Männer, sehr wütend, wenn eine Frau sich nicht für ihren Körper schämt. Das zeigt, dass es sehr politisch ist, in einem weiblichen Körper geboren zu sein, besonders in einem größeren, weiblichen Körper. Ich schäme mich nicht dafür und ich mache sie häufig wütend und ich liebe es.
Inwiefern werden größere, weibliche Körper von der Gesellschaft anders wahrgenommen?
Wir wissen alle, dass weibliche Körper konstant sexualisiert werden. Sie sollen immer sexy sein und dazu dienen, Männern zu gefallen. Wenn du einen größeren Körper hast und nicht in das standardisierte Schönheitsbild hinein passt, gibt es sehr viel Druck, der auf dir lastet. Dieser Druck steigt, wenn du dich weigerst, dich für deinen Körper zu schämen und beginnst, ihn als Waffe zu benutzen. Männer werden sehr wütend und hasserfüllt. Von den Reaktionen, die ich bekomme, weiß ich, dass viele Frauen sich sehr viel wohler in ihrem Körper fühlen können, nachdem sie mich online oder in dem Kurzfilm gesehen haben. Ich bin wirklich froh, dass ich so viele Frauen empowern und inspirieren kann, sie selbst zu sein.
Kannst du uns etwas mehr über die Reise erzählen, auf der dein Körper dein Zuhause geworden ist?
Ich dachte immer, dass das Zuhause ein sicherer Ort ist, aber der Iran war nie ein sicherer Ort für mich. Nachdem ich mein Leben im Exil begonnen habe, habe ich realisiert, dass dieser Ort auch nicht mein Zuhause sein kann. Nach einiger Zeit, habe ich verstanden, dass mein Körper mein Zuhause ist. Sie kommt mit mir, wo auch immer ich hingehe, sie ist meine beste Freundin, sie liebt mich und ich liebe sie.
Welchen Rat würdest du Menschen geben, die gerade versuchen, sich mehr in ihren eigenen Körpern zuhause zu fühlen?
Zwingt euch nicht, euch in euren Körpern zuhause zu fühlen. Versucht einfach zu tanzen, zu singen und zu tun, was auch immer euch gut tut. Dann werdet ihr beginnen, euch daran zu gewöhnen.
Am Ende des Kurzfilms sprichst du über die Bedeutung von Wut. Warum denkst du, dass Wut ein gutes Gefühl ist?
Ich denke nicht, dass Wut ein gutes Gefühl ist, aber ich denke, dass Wut ein besseres Gefühl ist als Trauer. Wut trägt Motivation in sich und gibt uns die Energie, Dinge zu verändern. Wenn du es auf die richtige Art und Weise nutzen kannst, kannst du dich selbst und andere Menschen mit deiner Wut empowern. Und das kann sehr hilfreich sein. Wut kann uns und unsere Gesellschaft heilen.
Sie haben uns immer erzählt, dass wir als Frauen freundlich sein müssen, dass wir aussehen müssen wie Frauen und dass wir nicht wütend sein sollen, denn das ist nicht, was eine gute Frau tut. Aber wenn du dich wütend fühlst, dann sei wütend. Denn es ist ein Teil von dir. „Anyone who doesn’t like it can fuck off.“
Was sind deine Wünsche für die Zukunft von iranischen Frauen?
Ich kann nicht wirklich für sie wünschen; sie sind der Wunsch. Sie geben ihr Bestes und sie sind das Beste. Sie sind inspirierend, sie sind mutig, sie sind alles. Ich bin mir sicher, sie werden weitermachen bis sie gewinnen. Mein Wunsch ist es, mit ihnen zu sein, sie zu sehen und sie darin zu unterstützen, ihre Stimmen zu erheben. Ich wünsche mir, sie glücklich und voller Kraft zu sehen!
Was wünschst du dir, was Menschen aus dem Kurzfilm „My Orange Garden“ mitnehmen?
Ich möchte, dass die Menschen, die meinen Film schauen, ihr Zuhause mehr lieben als davor. Und ihr Zuhause, das ist ihr Körper.